Kleinere Hirnrinde bei Kriminellen?
Wer schon seit Kindesbeinen stiehlt, gewalttätig ist oder durch andere unsoziale Eigenschaften auffällt, hat als Erwachsener womöglich eine verkleinerte Großhirnrinde– so lautet zumindest das Ergebnis einer neuseeländischen Studie. Unklar ist jedoch die Bedeutung dieser Erkenntnis.
Von Schuleschwänzen bis Stehlen
Teilnehmer der besagten Langzeitstudie waren 1037 Menschen, die in den Jahren 1972 oder 1973 auf die Welt gekommen waren. Ab dem 7. Lebensjahr wurden regelmäßig Eltern und enge Bekannte der ausgewählten Kinder zu möglichen antisozialen Eigenschaften befragt. Dazu gehörten unter anderem Verhaltensweisen wie Stehlen, Kämpfen, Gewaltbereitschaft, Mobbing, Zerstörung von Eigentum, Lügen und Schuleschwänzen.
Anhand der Verhaltensangaben teilten die Untersucher die Teilnehmer in 3 Gruppen: Menschen, die niemals durch antisoziales Verhalten aufgefallen waren, Menschen, die nur im Jugend- nicht aber im Erwachsenenalter antisoziales Verhalten gezeigt hatten und Menschen, bei denen das antisoziale Verhalten in der Kindheit begonnen und sich im Erwachsenenalter fortgesetzt hatte (die sogenannten „Persister“).
Stirn- und Schläfenlappen betroffen
Bei 672 Teilnehmern der Studie wurde im Alter von 45 Jahren das Gehirn mit einem MRT untersucht. Dabei wiesen die Gehirne der Persister eine geringere Oberfläche der kortikalen Hirnwindungen und eine dünnere Hirnrinde auf als die Gehirne der Teilnehmer, die zeitlebens sozial unauffällig gewesen waren oder nur im Jugendalter antisozial agiert hatten. Die Hirnveränderungen zeigten sich im Stirnlappen, dem „Entscheidungszentrum“ des Gehirns, und in für Emotionen bedeutenden Hirngebieten wie z. B. in Bereichen des Temporallappens und des limbischen Systems.
Henne oder Ei?
Die Bedeutung dieser MRT-Ergebnisse ist noch unklar. Möglicherweise haben Menschen mit antisozialem Verhalten Defizite beim Entscheiden und/oder emotionalen Bewerten von Situationen. Gretchenfrage ist, ob die gefundenen Hirnveränderungen und die postulierten Defizite Ursache des antisozialen Verhaltens sind (und dieses dann, einfach gesagt, angeboren wäre), oder ob lebenslanges antisoziales Verhalten die Gehirnstruktur verändert.
Bisher gehen Wissenschaftler davon aus, dass antisoziales Verhalten zum Teil vererbt wird, aber auch Umwelt- und Erziehungseinflüsse eine Bedeutung haben. Um die Entwicklung von Kindern zu Straftätern besser zu verstehen und besser damit umgehen zu können, fordern die Autoren weitere Langzeituntersuchungen.
Quellen: Ärzteblatt, Pressemeldung The Lancet