Die Entwicklung des Kindes
Es ist fast unvorstellbar, dass aus zwei winzigen Zellen – der Ei- und der Samenzelle – in neun Monaten ein Säugling wird – mit allem was dazugehört, von den Haaren bis zu den Zehennägeln. Und das Kind entwickelt sich rasant!
Am Ende der ersten Woche nach der Befruchtung (Konzeption) nistet sich bereits eine winzige, hohle Zellkugel (Keimblase, Blastozyste) in der Gebärmutter ein. Das Eindringen in das mütterliche Gewebe wird durch die Gebärmutterschleimhaut (Endometrium) unterstützt, denn die Bildung von Progesteron hat sie schon auf die Aufnahme des Embryos vorbereitet. Aus einem Teil der Keimblase entwickelt sich der Embryo (Embryoblast); der andere Teil (Trophoblast) ernährt nach der Einnistung zusammen mit dem mütterlichen Gewebe den Embryo.
Der Trophoblast bildet das Schwangerschaftshormon Beta-HCG (humanes Choriongonadotropin, ß-HCG, HCG), das in den ersten Wochen die Schwangerschaft aufrechterhält. HCG ist im Blut der Mutter am 9. Tag nach der Befruchtung nachweisbar, also noch vor dem bemerkten Ausbleiben der Regelblutung. Im Urin lässt sich HCG ab dem 14. Tag nach der Befruchtung nachweisen – es bildet die Basis des frei verkäuflichen Schwangerschaftstests.
Am Ende der 3. SSW (nach Zählweise der Mediziner), also sieben Tage nach der Befruchtung, entwickeln sich aus dem Embryoblast über verschiedene Stufen drei so genannte Keimblätter, drei unterschiedlich ausgeprägte Zellschichten, aus denen in den Folgewochen die verschiedenen Organe und Gewebe des Embryos entstehen.
Bis zum Ende der 6. SSW hat der Embryo bereits ein Herz, Vorstufen der Augen und an den Seiten Knospen, aus denen sich später Arme und Beine entwickeln. Das Herz-Kreislauf-System nimmt als erstes Organsystem seine Arbeit auf.
Bis zur 8. SSW wird der Umriss des Kopfes erkennbar. Der Schädelknochen ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorhanden; zuerst muss nämlich das Gehirn wachsen.
8. SSW. Jetzt sind bereits Hirnströme messbar. Ab diesem Zeitpunkt kann man auch die winzigen Finger des Kindes erkennen, die sich schneller als die Füße entwickeln. Der Embryo ist zu diesem Zeitpunkt ungefähr 1-1,5 Zentimeter groß.
Nun befördert die Nabelschnur Blut mit Nährstoffen und Sauerstoff vom Mutterkuchen (Plazenta) zum Kind. Auch die Fruchtblase (Amnionsack) ist jetzt fertig ausgebildet. Sie umhüllt das wachsende Kind während der Schwangerschaft; die inneren Häute der Fruchtblase bilden nun Fruchtwasser (Amnionflüssigkeit). Diese durchsichtige, manchmal auch milchige Flüssigkeit mit Eiweiß, Zucker, Mineralsalzen und Spurenelementen gewährleistet perfekte Bedingungen für den Embryo: Er schwimmt in seinem eigenen wohlig warmen Raum, der ihn vor Stößen und Lärm schützt. Dabei hat er genügend Platz, um sich zu bewegen und dadurch seine Knochen und Muskeln zu entwickeln.
Die Fruchtwassermenge gibt Hinweise darauf, wie gut es dem Kind geht. Sie wird deshalb bei der Vorsorgeuntersuchung geprüft.
In der 12. SSW (3. Monat) wiegt das Ungeborene ungefähr 25 Gramm. Teile des Schädelknochens und des knöchernen Skeletts (Knochenkerne) sind sichtbar. Die Verknöcherung der langen Röhrenknochen an Armen und Beinen (Oberschenkel und Oberarm) steht nun im Vordergrund, wobei das Längenwachstum der Knochen erst in der Pubertät endet.
13.–16. SSW (4. Monat). Mit der 13. SSW beginnt die Fetalperiode (Fetalentwicklung, Fetogenese), die bis zur Geburt dauert. In dieser Phase wächst das Großhirn des Fötus (Fetus, Foetus oder Fet). In der 14. SSW besteht es noch aus zwei Schichten (später werden es sechs sein), einer Mantelschicht und einer Rindenplatte. Mit ihr sind bereits Nerven aus tieferen Hirnschichten vernetzt.
Das Kind testet seine Bewegungsfähigkeit, es strampelt mit den Beinen, ballt die Faust, spreizt die Zehen, es probiert alles aus, was sich bewegen lässt. Noch sind diese Bewegungen für die Mutter nicht spürbar. Außerdem trainiert das Kind zu atmen, zu schlucken und zu saugen. Es trinkt auch kleine Schlucke Fruchtwasser. Abfallstoffe seines Stoffwechsels scheidet es über den Urin wieder aus; denn die Nieren funktionieren bereits. Zudem wächst dem Kind ein flaumiger, weicher „Pelz“, die Lanugobehaarung, die im 8. Monat wieder verschwindet.
Bis heute ist strittig, welchen Sinn diese Behaarung hat. Abgekommen sind die meisten Wissenschaftler von der Theorie, sie repräsentiere als Relikt unserer pelzigen Vorfahren die Entwicklungsgeschichte des Menschen. Plausibler ist, dass die Lanugobehaarung zum Schutz der Haut des Fötus vor Erschütterung, Schall und Druck dient.
Gegen Ende des 4. Monats haben sich die Geschlechtsorgane des Kindes soweit entwickelt, dass man in einem Ultraschallbild bereits das Geschlecht erkennen kann. Aber Vorsicht: Vor allem die Aussage, dass es ein Mädchen wird, ist manchmal falsch, denn bei ungünstiger Lage des Kindes zum Schallkopf sind die Hoden im Bild kaum zu erkennen. Findet der Arzt aber die Hoden, ist die Prognose „Junge“ korrekt. Doch trotz hervorragender Ultraschalltechnik weiß man erst nach der Geburt eindeutig, ob das Neugeborene ein Mädchen oder ein Junge ist.
17.–20. SSW (5. Monat). Zu Beginn des 5. Monats ist der Fötus ~ 18 cm groß. Er hat Hände und Füße, und seine Gesichtszüge sind gut erkennbar. Zur Halbzeit der Schwangerschaft kann die Mutter die Bewegungen des Kindes als vorsichtiges Stupsen schon spüren.
Das Kind nimmt auch regen Anteil am Leben der Mutter. Als „Kurier“ wirkt dabei das Blut. Da die mütterlichen Hormone über den Mutterkuchen in den Blutkreislauf des Ungeborenen gelangen, reagiert es darauf entsprechend. Wenn die Mutter z. B. beim Autofahren plötzlich scharf bremsen muss, kommt es bei ihr zu einer Ausschüttung des Stresshormons Adrenalin. Dieses gelangt auch zum Kind: Sein Puls wird höher, und es beginnt, sich kräftig zu bewegen.
Stand bis zum Ende der 20. SSW vor allem das Längenwachstum im Vordergrund, wird es von nun bis zum Ende der Schwangerschaft vor allem die Gewichtszunahme sein.
In der 21.–24. SSW (6. Monat) hat das Kind immer noch gut Platz in der Gebärmutter. Es bildet sich eine Fettschicht (braunes Fett), vor allem im Nacken und rund um die Nieren. Um die Haut des Kindes legt sich eine schützende „Babycreme“, die Käseschmiere (Vernix). Sie hilft, den Körper warm zu halten und die Haut vor der Flüssigkeit des Fruchtwassers zu schützen. Außerdem sorgt sie dafür, dass das Kind später leichter durch den Geburtskanal gleiten kann.
In der 25.–28. SSW (7. Monat) entwickelt sich das Gesicht des Kindes. Am Ende dieses Monats macht es seine Augenlider auf, an denen sich bereits winzige Wimpern befinden. Es kann die Augäpfel schnell und gerichtet bewegen, nimmt aber keine Konturen, sondern nur Lichtunterschiede wahr – also auch Tag und Nacht.
29.–32. SSW (8. Monat). Je größer das Ungeborene wird, desto deutlicher spürt die Mutter seine Bewegungen, denn zum einen werden die Muskeln des Ungeborenen kräftiger und damit seine „Trittstärke“. Zum anderen wird die als Puffer wirkende Fruchtwasserschicht zwischen Gebärmutterwand und Kind geringer. In der Gebärmutter wird es zunehmend enger für den Fötus, der am Ende des 8. Monats etwa 40 cm lang ist und etwa zwei Kilo wiegt.
In der 33.–36. Woche (9. Monat) entwickelt das Ungeborene seinen eigenen Schlaf- und Wachrhythmus. Meist schläft es knapp eine Dreiviertelstunde, und bleibt danach wieder genauso lange wach. In der 35. Woche ist auch die Lungenreifung abgeschlossen, d. h. Kinder, die jetzt geboren werden, können für gewöhnlich selbstständig atmen, das Reifen der Lunge muss nicht mehr durch Medikamente angestoßen werden.
Bei Jungen wandern die Hoden in den Hodensack; bei Mädchen wachsen die äußeren Schamlippen über die inneren; diese Entwicklung gehört zu den Reifezeichen des Kindes.
Am Ende des 9. Monats wiegt das Kind ~ 2 800 Gramm und ist rund 45 cm lang. Es dreht sich in diesem Monat zum letzten Mal und zeigt dann mit dem Kopf nach unten.
37.–40. Woche (10. Monat). Das Kind ist jetzt bereit für die Geburt. Unter dem Einfluss von Hormonen und weil der Kopf des Kindes Druck ausübt, beginnt sich der Muttermund zu lockern. Das Kind hat idealerweise die Beine gekreuzt. Viel bewegen kann es sich jetzt nicht mehr; nur Rollbewegungen von rechts nach links oder umgekehrt sind noch möglich. Diese spürt die Mutter deutlich; sie sind auch zum Teil von außen sichtbar.
Weiterführende Informationen
- L. Nilsson: Ein Kind entsteht. Goldmann, 2007. Bilddokumentation über die Entwicklung des Kindes im Mutterleib, der Klassiker unter den Fotobüchern zum Thema.